Wie schon 2013 und 2014 wollen wir auch dieses Jahr einen Blick auf die detaillierten Ergebnisse des Eurovision Song Contest 2015 werfen und uns zwei Fragen widmen: Wer wurde von den Jurys abgestraft und vom Publikum nach vorn gevotet? Und bei wem ist es umgekehrt?
Die willkürlich gewählte Grenze für “signifikante” Verschiebungen liegt abermals bei 5 Punkten, denn das haben wir schon immer so gemacht. Zusätzlich werden die Beiträge betrachtet, bei denen auch geringere Verschiebungen Auswirkungen auf ihr Fortkommen im Bewerb hatten.
Zur Erläuterung: Im Abschnitt “Die Jurys” betrachten wir, wie das Juryvoting sich auf die Endplatzierung eines Beitrags im Vergleich zum reinen Publikumsvoting ausgewirkt hat. Im Abschnitt “Das Publikum” hingegen betrachten wir, wie sich die Endplatzierung eines Beitrags durch das Publikumsvoting verbessert/verschlechtert hat im Vergleich zur Platzierung im Juryvoting.
Beginnen wir beim
1. Halbfinale
Die Jurys
Ungarn (Boggie – Wars for Nothing) gewinnt 3 Plätze (11 ↗ 8)
Finnland (Pertti Kurikan Nimipäivät – Aina mun pitää) verliert 6 Plätze (10 ↘ 16)
Finnland wird (meiner Ansicht nach zurecht) auf den letzten Platz verwiesen, dafür rutscht Boggie 1 (meiner Ansicht nach zurecht) noch ins Finale.
Das Publikum
Estland (Elina Born u. Stig Rästa – Goodbye to Yesterday) gewinnt 6 Plätze (9 ↗ 3)
Armenien (Genealogy – Face the Shadow) gewinnt 5 Plätze (12 ↗ 7)
Serbien (Bojana Stamenov – Beauty Never Lies) gewinnt 4 Plätze (13 ↗ 9)
Weißrussland (Uzari u. Maimuna – Time) verliert 4 Plätze (8 ↘ 12)
Niederlande (Trijntje Oosterhuis – Walk Along) verliert 8 Plätze (6 ↘ 14)
Das starrende Duo kommt offenbar sehr gut an und wird nochmal gepusht, während Serbien und Armenien ins Finale gezogen werden. Beim serbischen Beitrag verstehe ich das völlig, bei Don’t deny aber nicht. Vielleicht fand die Rollenspielfraktion die Kutten ganz niedlich oder so.
Dafür müssen natürlich zwei andere Beiträge weichen: Weißrussland fliegt zusammen mit den Niederlanden und darf nicht nochmal singen. Bei den Niederlanden beträgt der Verlust sogar 8 Plätze. Da wird sich Trijntje vermutlich fragen: Whei! Whei-ei-ei-ei!
Wir machen weiter mit dem
2. Halbfinale
, in dem auch Deutschland abstimmen durfte. Jetzt seid ihr schuld!
Die Jurys
(Also ihr seid noch nicht schuld, aber gleich.)
Aserbaidschan (Elnur Huseynov – Hour of the Wolf) gewinnt 1 Platz (11 ↗ 10)
Polen (Monika Kuszyńska – In the Name of Love) verliert 5 Plätze (3 ↘ 8)
Tschechien (Marta Jandová u. Václav Noid Bárta – Hope Never Dies) verliert 3 Plätze (10 ↘ 13)
Der kleine Push für Aserbaidschan reicht gerade so für eine Finalteilnahme. Polen wird abgestraft (für zu viel Schmalz?), hat aber noch genug Puffer nach unten, und die stöckelschuhschleudernde Tschechin und ihr Sängerfreund müssen sich dafür das Finale von den billigen teuren Plätzen aus ansehen.
Das Publikum
Polen (Monika Kuszyńska – In the Name of Love) gewinnt 8 Plätze (16 ↗ 8)
Montenegro (Knez – Adio) gewinnt 2 Plätze (11 ↗ 9)
Malta (Amber – Warrior) verliert 6 Plätze (5 ↘ 11)
Irland (Molly Sterling – Playing with Numbers) verliert 5 Plätze (7 ↘ 12)
Polen ist Publikumsliebling, Sie werden es vielleicht schon gemerkt haben. Knez schafft es mit seinen ernst dreinguckenden Damen noch knapp ins Finale. Dafür fallen die Frau, die im Walzertakt zählen kann und Malta raus. Ein Glück, sonst hätten wir zwei Lieder mit dem selben Titel im Finale gehabt und wären alle sehr verwirrt gewesen.
Finale!
Diese Finalergebnisse sind um einiges unbefriedigender als in den letzten beiden Jahren.
Wir waren in Wien in einem Restaurant, um Schnitzel zu essen. Ein Kellner dort war ständig damit beschäftigt, aufgeregt “Nein!” zu quäken (sic) und Gäste davon abzuhalten, sich im hinteren Teil des Restaurants einen Tisch zu suchen. Ungefähr so hat man sich das Verhältnis von Jurys und Publikum im Finale vorzustellen.
Die Jurys
Schweden (Måns Zelmerlöw – Heroes) gewinnt 2 Plätze (3 ↗ 1)
Norwegen (Mørland u. Debrah Scarlett – A Monster Like Me) gewinnt 8 Plätze (17 ↗ 8)
Montenegro (Knez – Adio) gewinnt 5 Plätze (18 ↗ 13)
Slowenien (Maraaya – Here for You) gewinnt 5 Plätze (19 ↗ 14)
Italien (Il Volo – Grande amore) verliert 2 Plätze (1 ↘ 3)
Armenien (Genealogy – Face the Shadow) verliert 5 Plätze (11 ↘ 16)
Albanien (Elhaida Dani – I’m Alive) verliert 9 Plätze (8 ↘ 17)
Polen (Monika Kuszyńska – In the Name of Love) verliert 8 Plätze (15 ↘ 23)
Die Jurys kicken also Publikumsliebling Il Volo von Platz 1 und setzen dafür den Schweden an die Spitze. Das ist in der Hinsicht spannend, dass die Jurys 2009 auch mit der Begründung eingeführt wurden, dass die elendige Punkteschieberei zwischen Nachbarländern (v.a. Balkan, aber auch Skandinavien) etwas eingedämmt werden sollte. Nun wäre aber Schweden eher ein Kandidat dafür als Italien. Haben die Jurys versagt?
In other news: Das Lied mit der Jugendsünde (“Liebling, ich habe die Jury bestochen”), wieder Knez und eine Luftgeige werden nach vorn geschoben. Bei letzterer würde ich die unterschiedlichen Bewertungen darauf zurückführen, dass die Künstlergruppe aus Slowenien am Samstag irgendwie matter und unausgeschlafener wirkte als noch am Tag zuvor beim Juryfinale. Vielleicht gab’s deshalb weniger Punkte vom Publikum.
Armenien und Polen finden die Jurys immer noch nicht so pralle, und auch Albanien kann nicht überzeugen und fliegt aus den Top Ten.
Das Publikum
Man konnte übrigens aus Österreich mit deutschem Handy irgendwie nicht voten. Oder wir waren zu blöd dafür.
Serbien (Bojana Stamenov – Beauty Never Lies) gewinnt 14 Plätze (24 ↗ 10)
Rumänien (Voltaj – De la capăt – All Over Again) gewinnt 6 Plätze (21 ↗ 15)
Armenien (Genealogy – Face the Shadow) gewinnt 6 Plätze (22 ↗ 16)
Albanien (Elhaida Dani – I’m Alive) gewinnt 9 Plätze (26 ↗ 17)
Zypern (John Karayiannis – One Thing I Should Have Done) verliert 13 Plätze (9 ↘ 22)
Frankreich (Lisa Angell – N’oubliez pas) verliert 5 Plätze (20 ↘ 25)
Österreich (The Makemakes – I Am Yours) verliert 13 Plätze (13 ↘ 26)
Deutschland (Ann Sophie – Black Smoke) verliert 8 Plätze (19 ↘ 27)
Serbien und Armenien sind wieder mal Publikumslieblinge, Rumänien und Albanien überraschend auch. Dafür wird der Zyprer… Zypriote… jedenfalls wird er hochkant aus den Top Ten geschmissen. Frankreich macht der Verlust von 5 Plätzen am Ende des Feldes vermutlich auch nichts mehr aus.
Geradezu spannend wird es bei den Zeros of our time, Österreich und Deutschland. Denen wird vom Publikum mit Schwung die rote Laterne in die Hand gedrückt. Dabei war die Ausgangsposition nach dem Juryfinale am Freitag gar nicht mal sooo schlecht: Österreich lag auf einem guten 13. Platz und Deutschland hatte immerhin ebenfalls 24 Punkte von den diversen Jurys bekommen, was noch Platz 19 bedeutet hätte.
Und was dann mit Österreich passierte, ist fast nicht mehr mit Pech im Unglück zu umschreiben: Die Publika der Länder, deren Jurys Österreich Punkte gegeben hätten, quäkten “Nein!” und platzierten Österreichs Beitrag so weit hinten, dass in Kombination bestenfalls der 11. Platz heraussprang. Im Fall von Lettland (Latvia) und der Schweiz (Switzerland) ist das so knapp, dass die Summe aus Jury-Rang und Televoting-Rang identisch zu der des Beitrags auf Platz 10 des Landes ist, welcher aber beides Mal mehr Televoting-Stimmen gesammelt hat, weshalb nach Reglement dieser andere Titel den Vorzug bekommt und es keine Punkte für Österreich gibt.
Hier eine Tabelle, markiert sind die Länder, deren Jurys Österreich Punkte gegeben hätten.
FromCountry | ToCountry | JuryRank | Jurypoints | TelevoteRank | Televotepoints | Combined | TotalPoints |
F.Y.R. Macedonia | Austria | 20 | 0 | 20 | 0 | ||
Montenegro | Austria | 26 | 0 | 26 | 0 | ||
Georgia | Austria | 3 | 8 | 25 | 0 | 13 | 0 |
Latvia | Austria | 3 | 8 | 21 | 0 | 11 | 0 |
Belgium | Austria | 6 | 5 | 26 | 0 | 17 | 0 |
Russia | Austria | 7 | 4 | 26 | 0 | 15 | 0 |
Switzerland | Austria | 7 | 4 | 16 | 0 | 11 | 0 |
Germany | Austria | 8 | 3 | 17 | 0 | 12 | 0 |
Iceland | Austria | 9 | 2 | 21 | 0 | 15 | 0 |
Spain | Austria | 9 | 2 | 23 | 0 | 14 | 0 |
Hungary | Austria | 10 | 1 | 19 | 0 | 16 | 0 |
Ireland | Austria | 10 | 1 | 22 | 0 | 19 | 0 |
Israel | Austria | 10 | 1 | 26 | 0 | 20 | 0 |
Lithuania | Austria | 10 | 1 | 18 | 0 | 16 | 0 |
Estonia | Austria | 11 | 0 | 18 | 0 | 15 | 0 |
Romania | Austria | 11 | 0 | 21 | 0 | 18 | 0 |
Czech Republic | Austria | 12 | 0 | 25 | 0 | 22 | 0 |
Denmark | Austria | 12 | 0 | 19 | 0 | 15 | 0 |
France | Austria | 12 | 0 | 26 | 0 | 24 | 0 |
Norway | Austria | 12 | 0 | 21 | 0 | 16 | 0 |
Sweden | Austria | 12 | 0 | 24 | 0 | 20 | 0 |
Poland | Austria | 13 | 0 | 24 | 0 | 18 | 0 |
Slovenia | Austria | 13 | 0 | 16 | 0 | 14 | 0 |
Cyprus | Austria | 14 | 0 | 26 | 0 | 23 | 0 |
San Marino | Austria | 14 | 0 | 0 | 0 | 14 | 0 |
Armenia | Austria | 15 | 0 | 24 | 0 | 21 | 0 |
Australia | Austria | 15 | 0 | 20 | 0 | 19 | 0 |
Italy | Austria | 15 | 0 | 22 | 0 | 22 | 0 |
United Kingdom | Austria | 16 | 0 | 21 | 0 | 20 | 0 |
Portugal | Austria | 18 | 0 | 24 | 0 | 23 | 0 |
Serbia | Austria | 18 | 0 | 24 | 0 | 23 | 0 |
Azerbaijan | Austria | 20 | 0 | 23 | 0 | 23 | 0 |
The Netherlands | Austria | 20 | 0 | 27 | 0 | 27 | 0 |
Albania | Austria | 22 | 0 | 15 | 0 | 18 | 0 |
Malta | Austria | 22 | 0 | 23 | 0 | 26 | 0 |
Belarus | Austria | 23 | 0 | 26 | 0 | 26 | 0 |
Finland | Austria | 23 | 0 | 23 | 0 | 25 | 0 |
Greece | Austria | 23 | 0 | 26 | 0 | 25 | 0 |
Moldova | Austria | 25 | 0 | 27 | 0 | 26 | 0 |
Bei Deutschland haben wir das selbe Spiel, nur wechselseitig: Hätte eine Länderjury dem deutschen Beitrag Punkte gegeben, dann hat das Publikum dieses Landes den Beitrag so weit “heruntergevotet”, bis in der Summe keine Punkte mehr drin waren. Das albanische Publikum hingegen hätte Deutschland durchaus 4 Punkte gegönnt, hier hat aber die Jury “Nein!” gequäkt und nur Platz 16 vergeben, was in der Summe Rang 12 und 0 Punkte bedeutet.
Fazit: Dieses Jahr war alles etwas durcheinander. Deutschland und Österreich ist das Kunststück gelungen, 0 Punkte zu bekommen. Das war bestimmt nicht leicht. Absichtlich bekommt man so etwas sicherlich nicht hin.
Auch Holger Dambeck hat sich dieses Jahr wieder mit den detaillierten Ergebnissen des ESC beschäftigt und erklärt, wie Il Volo durch die Jurys nur auf Platz 3 gelandet sind.