GNTM

Die aktuell laufende 10. Staffel von Germany’s next Topmodel by Heidi Klum ist die beste bisher. Denn offenbar hat man sich in der Redaktion von ProSieben bei der Planung dieser Jubiläumsstaffel einmal zusammengesetzt und beschlossen, sich in diesem Jahr auf das Wesentliche zu konzentrieren.

(Spoiler: Es handelt sich hierbei nicht um das Finden des nächsten Topmodels.)

Ich sehe mir die aktuelle Staffel besonders im Hinblick auf die Inszenierung an und stelle fest, dass diese Staffel so ganz anders ist als die davor. Weiterhin wird die Geschichte einer Reise erzählt, wie sie Jan Fischer bereits im letzten Jahr beschrieben hat. Doch bereits nach dem obligatorischen Casting-Abhol-Gedöns wird der erste Konflikt inszeniert: Die Mädchen1 aus Köln vs. die Mädchen aus München und dann sind da noch die, die persönlich in einem Automobil des Hauptsponsors “abgeholt” wurden. Doch zwei Folgen später ist dieser Konflikt schon wieder vergessen, und er wird auch nicht mehr auftauchen. Genau wie die anderen Konflikte, die im weiteren Verlauf der Staffel auftauchen werden: Chiara gegen Laura, Laura gegen Érica, Érica gegen Darya, Darya gegen Chiara, und wie sie alle heißen.

Konflikte werden im GNTM-Universum auf zwei Arten gelöst: Die Abneigung schlägt durch ein wenig Geknuddel und Tränen in Zuneigung um (Stichwort “BFFs”), oder eine der Kontrahentinnen wird durch die Jury aus der Show befördert. In der nächsten Sendung kann die Aufmerksamkeit sich dann sofort auf den nächsten Konflikt richten. Dieser schnelle Wechsel der Fronten ist so anders als in den vergangenen Staffeln, als wir regelmäßig den Weg einer einzigen “Quotenzicke” bis in die TOP 5 der Kandidatinnen begleiten durften.

“Fotoshootings”, “Jobs” und das für GNTM neue Element “World of Topmodel (WOT)” sind auch nicht dazu da, brauchbare Bilder zu fabrizieren oder die erworbenen Kenntnisse2 bei echten “Kunden” zu testen. Mit beeindruckender Regelmäßigkeit wird das jeweilige Konfliktpärchen der Episode von der Jury in eine Gruppe gesteckt, um den Kontrahentinnen die Möglichkeit zu geben, geeignete Off-Kommentare zur jeweils anderen Person zu geben – meist in der Konstellation “Die stellt sich voll blöd an” vs. “Ich weiß nicht was ihr Problem ist”.

Da die Bilder nur Nebensache sind, ist es auch egal, wer die Bilder macht. Wechselten früher noch die Fotografen, darf in diesem Jahr passenderweise Christian Schuller praktisch alle Bilder machen. Bilder von Christian Schuller für GNTM, das muss vielleicht kurz erklärt werden, sind in der Regel so, dass das auch ich sein könnte auf dem Bild, und das würde praktisch keinen Unterschied machen.

Auch die sogenannten “Jobs” lassen wenig Zweifel daran, dass sie eigentlich nur unwichtiges Requisit der größeren Inszenierung sind. Regelmäßig dürfen sich drei Modelaspirantinnen einem “Kunden” vorstellen, der dann stets “am liebsten alle drei genommen” hätte, (obwohl sie zu spät zum Casting gekommen sind,) aber das ginge leider nicht. Aus Gründen. “Der Kunde” wählt schließlich zwei Personen aus, die dritte schmollt, und alles ist entweder eine weitere Episode des aktuellen Konflikts, oder dient dazu, die “finaltauglichkeit” einer Kandidatin zu unterstreichen.

Die Kandidatinnen der 10. Staffel stellen sich außerdem erfrischend unreflektiert dar, ganz so, als hätten sie einmal ein paar Ausgaben dieser Sendung gesehen, aber die Mechanismen nicht im Ansatz begriffen. Situationen wie in der letzten Staffel, als eine junge Mutter vor der Jury noch subversiv “War ja klar dass dieses Mal alle weiterkommen” sagen konnte, sucht man in diesem Jahr vergebens. Dass diesmal eine Kandidatin die stets ausgefallenen Bildideen des Fotografen beklagt, wirkt auch eher als aufrichtiges Gemotze denn als Kritik am Format der aktuellen Staffel.

Germany’s next Topmodel by Heidi Klum legt den Fokus also auf Konflikte. Der primäre Konflikt einer Episode findet zwischen zwei Personen statt, doch die Protagonistinnen kämpfen immer wieder auch gegen sich selbst. Was oft gleichbedeutend damit ist, dass sie gegen Tränen ankämpfen. Obwohl der Großteil der Handlung sich physisch in Los Angeles abspielt, lassen sich all diese Konflikte auf die Lebensrealität der Zielgruppe abbilden, also auf ein 14-jähriges Schulmädchen3: Wer sind meine Freunde? Wer meine Feinde? Was hat Hiltrud die Bitch über mich erzählt? Wie ist mein Bild in der Öffentlichkeit? Wie schaffe ich die Versetzung in die nächste Jahrgangsstufe? Und natürlich der gesamte Bereich der Sexualität: Wie verhalte ich mich in Gegenwart von männlichen Personen, die ungefähr in meinem Alter sind (und bei GNTM zudem bevorzugt sehr leicht bekleidet)?

Bei GNTM sehen wir junge Frauen, wie sie genau mit diesen Fragen konfrontiert werden. So steht die 17-jährige Anuthida auf einer Modenschau Backstage plötzlich zwischen vielen bis auf die Unterhose entkleideten Male-Models und fühlt sich etwas unwohl. Beim “Fotoshooting” mit weiteren Male-Models später dann attestiert sie sich selbst, sie könne “nicht sexy sein”. “Werd erstmal erwachsen!”, möchte man ihr zurufen, und denkt dann, dass das in der Modebranche wahrscheinlich schon wichtig sei, das “sexy sein”. Anuthida wird dann doch versetzt, sie muss nicht “nach Hause” und darf in der nächsten Woche beweisen, dass sie es kann. Es: Teil eines Konfliktes oder einer Erfolgsgeschichte sein.

Das große Ziel, auf das all der Aufwand scheinbar hinausläuft, ist allen bekannt: Nur eine kann Germany’s next Topmodel werden. Nur eine gewinnt ein Auto und einen Modelvertrag bei Heidi Klums Vater. Wie erstrebenswert dieser Titel und die Beigaben sind, wird dadurch deutlich, dass in diesem Jahr als Motivation noch eine Zehntelmillion Euro draufgelegt werden. Um all das geht es jedoch eigentlich nicht. Zwar wird das nächste “GNTM”  Anuthida Ploypetch heißen – doch bald darauf werden vermutlich wieder neue Castings starten. Um neue Progagonistinnen zu finden, mit denen die alten Geschichten mit neuen Gesichtern wieder erzählt werden können.

modelrad

  1. sprich: “Meeedchen”
  2. hihi
  3. Ich war nie ein 14-jähriges Schulmädchen und werde vermutlich auch nie eines sein. Wenn ich jedoch gleich ausführen werde, wovon ich glaube, dass es die Lebensrealität eines 14-jährigen Schulmädchens ist, dann kann eine ProSieben-Redakteurin das genauso gut glauben.

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