Eine Alternative zum Semesterticket

Das Bonner Studierendenparlament ist derzeit unzufrieden mit der Semesterticketsituation. Nach einseitiger Streichung der ganztägigen Fahrradmitnahme durch den VRS hat man sich entschlossen, dem neuen Semesterticketvertrag nur in einer Form zuzustimmen, die diese Streichung rückgängig macht.

Den Berichten zufolge hat man sich die Preisverhandlungen des Semestertickets ungefähr wie folgt vorzustellen:

VRS: “Hallo zusammen, das Ticket wird 5,16 € teurer!”
ASten: “Mimimimi viel zu viel!”
VRS: “Tja.”

Und am Ende wird das Ticket 5,16 € teurer.

Warum ist das wohl so?

Vorteile des Semestertickets für die Studierendenschaften

Die Studierenden bekommen ein relativ günstiges Ticket und müssen sich nicht mit der Ticketstruktur des VRS herumschlagen, da es gar nicht die Option gibt, kein Ticket zu nehmen1.

Vorteile des Semestertickets für die Verkehrsverbünde

Die große Zahl an Studierenden erzeugt einen relativ gleichmäßigen Geldfluss, mit dem man planen kann (11-12 Mio. € jährlich durch die Studierendenschaft der Uni Bonn).

Falls eine Studierendenschaft eine Preiserhöhung ablehnt, steht sie schlechtestenfalls im nächsten Semester ohne Ticket da. Das bedeutet für den Verkehrsverbund ungleichmäßigere Einnahmen und möglicherweise auch Mehr- oder Mindereinnahmen – das kann ich aber nicht einschätzen und es wäre wohl auch wetterabhängig2. Die Studierenden hingegen stünden ohne Ticket da und müssten abhängig von ihrem Wohnort oft mehr Geld in die Hand nehmen, um die universitären Veranstaltungen in Bonn zu besuchen.

Dass die verantwortlichen ASten gelyncht würden, glaube ich aber nicht – die meisten Studierenden glauben ja mutmaßlich immer noch, dass das Semesterticket ein Service der Universität sei.

Die schlechte Verhandlungssituation der Studierendenschaften ergibt sich also daraus, dass sie neben dem harten Brexit keine ernstzunehmende Alternative haben. Eine solche müsste im Vergleich zum Semesterticket den Verwaltungsaufwand bei den Verkehrsverbünden drastisch erhöhen oder geringere Einnahmen bedeuten. Gleichzeitig wäre es wünschenswert, durch Wegfall des Semestertickets entstehende Ungleichbelastungen der Studierenden auszugleichen.

Die Alternative müsste nicht einmal umgesetzt werden, sondern es reicht, sie in der imaginären Schublade liegen zu haben. Die Verkehrsverbünde müssten sie lediglich kennen, an ihre Umsetzbarkeit glauben und sie als Drohkulisse wahrnehmen, damit sie wirken kann.

Optionen

Gerne wird postuliert, falls das Semesterticket wegfalle, sollten die Studierenden einfach die Beförderung erschleichen, und wenn sie erwischt würden, könne man ihnen das erhöhte Beförderungsentgelt bezahlen. Ein simpler Plan, mit zwei Problemen: Beförderungserschleichung ist illegal, und dazu aufzurufen ist für Studierendenschaften vermutlich nicht allzu gesund. Falls alle Studierenden im Schnitt mindestens einmal pro Monat erwischt würden, wäre das außerdem bereits teurer als das Semesterticket. Insgesamt wäre es vermutlich günstiger als das Semesterticket, da sicher viele Studierende trotzdem Tickets lösen würden, aber ein Sonderposten “Erstattung Beförderungserschleichung” macht sich halt letzten Endes nicht gut in der Beitragsordnung.

Alternativ könnte die Studierendenschaft Studierenden ihre Mobilitätskosten auf Antrag teilweise erstatten. Ob diese Erstattung anteilig über alle Anträge (ggf. mit Obergrenze), gleichmäßig über alle Anträge, Wohnortabhängig oder nach Bedürftigkeit erfolgte, wäre eine politische Frage. Ein solches System stellt die Studierendenschaft aber auch vor hohe organisatorische Hürden.

Eine Mobilitätskostenerstattung würde für die Studierendenschaft vermutlich hohen Verwaltungsaufwand mit sich bringen. Dazu gehören Gremien zur Prüfung der eingereichten Unterlagen, die Erstellung von Bescheiden (wer spielt nicht gern Behörde), und die zusätzlichen Buchungen für die tatsächliche Erstattung würde die AStA-Kasse ziemlich sicher überlasten. Hier kämen also auch Personalkosten auf die Studierendenschaft zu. Die Erstattungsregelung sollte daher so konzipiert sein, dass möglichst wenig Anträge gestellt werden, ohne dass Bedürftige von der Antragstellung abgehalten werden. Good luck with that, wie es so schön heißt.

Fazit

Das Semesterticket ist alternativlos, daher müssen die Studierendenschaften derzeit Preiserhöhungen praktisch hinnehmen. Solange sie keine zumindest theoretisch umsetzbare Alternative entwickeln, wird sich das vermutlich auch nicht ändern. Dies ist aber nicht trivial.

  1. Die Studierendenschaft bietet eine Erstattung für Personen an, die das Ticket nicht benötigen, weil sie bereits anderweitig eines haben, oder für Personen, die das Ticket nicht nutzen können, z. B. wegen eines Auslandsaufenthalts.
  2. Bei Sonnenschein wird mehr geradelt.

Vom Nichtwählen

Nehmen wir einmal an, unser Studierendenparlament schafft das Semesterticket ab. Wegen zu teuer. Oder weil die Liste Die LISTE eine 50%+X-Mehrheit bekommen hat und mehr Fußvolk produzieren will, was weiß denn ich. Sagen wir einfach, sie tun es. Und reden dann nicht mehr drüber.

Wann würde das den Leuten auffallen?

Eine Handvoll Studierender merkt es sofort, denn sie sind auf der Sitzung live dabei. Ich zum Beispiel oder etwa die Hälfte der Parlamentarier. Aber ich will ja gucken was passiert, also erzähle ich es nicht weiter.

Einige erfahren es dann aus der BAStA. Die bringt sicher einen kleinen Info-Artikel zum Thema, in dem steht, dass es ab nächstem Semester kein Semesterticket mehr gibt. Von diesen Leuten wandert die Nachricht dann per Mund-zu-Ohr-Propaganda in den diversen Kreisen weiter und wird meist mit einem verblüfft-entsetzten Schulterzucken quittiert.

Die neuen Erstsemester blicken erstaunt, wenn sie bei der ÖPNV-Recherche erfahren, dass es in Bonn kein Semesterticket (mehr) gibt und sie reguläre Tickets lösen müssten, viele orientieren sich spontan zur renommierten Uni Köln um. Das Fachschaftenreferat schreibt eine Rundmail an alle Fachschaften, die allerdings nur von der Hälfte der Empfänger zur Kenntnis genommen und an die Erstsemester weitergegeben wird. Ein paar Fachschaften wollen vielleicht protestieren, aber dann wollen die Erstis versorgt werden und dann ist eh schon wieder fast Weihnachten und da hat man dann Wichtigeres zu tun.

Und vom Rest merken es einige erst, wenn sie im nächsten Semester in der S-/U-/Tram-Bahn kontrolliert werden und vom SWB-Personal darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie gar kein Ticket haben. Hätte man aber auch merken können, dass da kein Glitzerhologramm mehr drauf ist, Mensch. Dass der winzige Aufdruck “Fahrausweis im VRS” fehlt, hätte ich wahrscheinlich auch erst spät bemerkt.

Irgendwann wissen also fast alle, dass es kein Ticket mehr gibt. Und dann?

Der AStA wird vielleicht mehrere wütende E-Mails mit fehlender Rechtschreibung und übermäßiger Interpunktion!!!!11 erhalten, ist dafür aber eigentlich gar nicht zuständig. Die BAStA bekommt mal wieder zwei Leserbriefe, die dann auf der 7. Seite abgedruckt werden und niemanden interessieren. Und 85,7 % der Studierendenschaft werden kurz empört aufschreien und in den darauf folgenden Jahren nicht müde werden zu erwähnen, dass “die AStA damals das Semesterticket abgeschafft hat” und das alles ganz große Spacken seien.

Diese 85,7 % sind die Nichtwähler.

Ich bin überzeugt, dass eine große Korrelation bestehen würde zwischen denen, die bei der SP-Wahl keine Gummibärchen abgegriffen haben, und denen, die am lautesten schreien und dann aber doch nichts tun würden.

Auf eine SP-Sitzung laufen und die Deppen mal richtig zur Sau machen? Nee, das ist ja Aufwand. Da muss man ja was tun. Iiih.

Bei der nächsten Wahl jemanden wählen, der das Ticket wieder einführen will? Da müsste man sich ja in-for-mie-ren! Bäh!

Selber eine solche Liste gründen und mit wehenden Fahnen ins SP einzieh… okay, utopisch.

Ich bin die Bonner Hochschulpolitiklandschaft jetzt seit zwei Jahren am quälen1. Und wenn ich eines festgestellt habe, dann das: Eine interessierte Öffentlichkeit ist extrem wichtig. Wenn man mal ein bisschen wo herumstochert, kriegen auf einmal alle etablierten Akteure Panik. Und das oft zu Recht – nicht selten hält man sich nur soweit an die Regeln, die man sich selbst gegeben hat, wie es gerade eben nicht stört2. Fies, wenn da mal jemand genauer hinguckt.3

Das heißt also:

  • Wenn ihr das SP toll findet: Geht wählen. Besucht mal eine SP-Sitzung4. Sagt ihnen, dass ihr toll findet, dass sie sich für euch aufopfern. Die freuen sich bestimmt.
  • Wenn ihr das SP hasst: Geht wählen. Besucht mal eine SP-Sitzung. Sagt ihnen, warum ihr sie scheiße findet. Stellt einen Antrag, der dem SP nicht gefällt, der aber so sinnvoll ist, dass man ihn nicht ohne Gesichtsverlust ablehnen kann. Nutzt die Möglichkeiten, die euch Satzung und Geschäftsordnung geben5.
  • Wenn euch das SP so egal ist wie ein Stück Brot: Geht wählen. Zeigt ihnen dadurch, dass ihr sie trotzdem nicht unbeobachtet machen lasst, was sie wollen. Viele Leute meinen: Durch eine niedrige Wahlbeteiligung zeigt man den Leuten, dass sie nicht legitimiert sind. Ich sage: Das ist Humbug. Das SP wird auch mit einer Wahlbeteiligung von 5 % weiterwurschteln wie bisher. Durch eine noch niedrigere Wahlbeteiligung sagt ihr lediglich: Macht was ihr wollt, es guckt eh keiner.

So, ich muss los, noch einen Antrag an den Ältestenrat schreiben. Als einfacher Student. Crazy, was. Aber möglich6.

  1. und den rheinischen Duktus seit ebenso langer Zeit am lernen. Aber net aktiv. Das nur so am Rande
  2. Das gilt aber keinesfalls nur für die verfasste Studierendenschaft, sondern auch zum Beispiel für die Universität selbst.
  3. Warum findet eigentlich der Großteil der Sitzungen von universitären Gremien komplett geheim statt? Wenn man dann stellenweise die Begründung “interessiert doch eh Keinen” hört, könnte ich wieder sooo einen Hals bekommen. Und kommt mir jetzt nicht mit “Datenschutz!!111elf” oder “Betriebsgeheimnis!!!111”. Dann kann man notfalls für einzelne Tagesordnungspunkte die Öffentlichkeit ausschließen.
  4. Die Termine stehen hier im Blog sogar meistens in der Seitenleiste.
  5. Dazu müsste man sie aber erstmal Lesen. Aufwand, ich weiß. Schlimm schlimm schlimm.
  6. Soooo viele Fußnoten!