Aufgefallen: Regelmäßig erfolgreich

Die Bachelorprüfungsordnung für den Studiengang B.Sc. Informatik an der Uni Bonn sagt in § 11:

(6) In Lehrveranstaltungen (mit Ausnahme von Vorlesungen), in denen das Qualifikationsziel nicht anders erreicht werden kann, kann der Prüfungsausschuss auf Antrag eines Lehrenden die regelmäßige/erfolgreiche/aktive Teilnahme als Voraussetzung für die Zulassung zur Modulprüfung festlegen. Dabei ist zu definieren, wann eine regelmäßige/erfolgreiche/aktive Teilnahme vorliegt. Die Entscheidung ist gemäß § 6 Abs. 6 bekanntzugeben.

Das funktioniert also folgendermaßen: Die Lehrperson stellt einen Antrag an den Prüfungsausschuss. In diesem Antrag steht, was die Studierenden tun müssen, um zur Klausur zugelassen zu werden. Etwa einen bestimmten Anteil an Übungsaufgaben lösen und vorstellen. Und dann wird das begründet, in der Regel mit “Sonst lernen die Kleinen keine Softskills und würden sich wissenschaftlich fehlverhalten”1.

Manche Informatikmodule werden jedoch von Professoren der diskreten Mathematik2 gehalten. Die Mathematik in Bonn, muss man wissen, ist gar überaus exzellent. Nur merkt man das nicht immer.

Blicken wir noch einmal auf obigen Absatz 6:

[…] Dabei ist zu definieren, wann eine regelmäßige/erfolgreiche/aktive Teilnahme vorliegt. […]

Und nun auf ein Paar Studienleistungen aus dem letzten Wintersemester.

Prof. Dr. Stefan Hougardy
Modul: BA-INF 107 Einführung in die Diskrete Mathematik

Erforderliche Studienleistungen gemäß § 11 (6) PO:
50 % der Übungspunkte, sowie regelmäßige, aktive Teilnahme an den Übungsgruppen. Die Bearbeitung der Übungsaufgaben kann in Gruppen bis zur Größe 2 erfolgen. Bei Abgaben in Gruppen muss jeder Teilnehmer in der Lage sein, alle abgegebenen Lösungen seiner Gruppe zu erklären.

Die regelmäßige/erfolgreiche/aktive Teilnahme liegt also vor, wenn man regelmäßig, aktiv teilnimmt. Und 50 % der Punkte erreicht. Genial! Und so exzellent definiert.

Was verlangte denn sein Kollege?

Dr. Nicolai Hähnle
Modul: BA-INF 106 Lineare und ganzzahlige Optimierung

Erforderliche Studienleistungen gemäß § 11 (6) PO:
50 % der Übungspunkte, sowie regelmäßige, aktive Teilnahme an den Übungsgruppen. Die Bearbeitung der Übungsaufgaben kann in Gruppen bis zur Größe 3 erfolgen. Bei Abgaben in Gruppen muss jeder Teilnehmer in der Lage sein, alle abgegebenen Lösungen seiner Gruppe zu erklären.

Huch! Sehen wir hier beim exzellenten Mathematiker etwa eine ungekennzeichnete Textübernahme3? Natürlich nicht. Die maximale Gruppengröße ist schließlich 3, nicht 2. Eine insgesamt ebenbürtige Studienleistung.

Generell hat die Mathematik in Bonn ein laxe Herangehensweise an Studienleistungen. Auf der Webseite der Mathematik steht aktuell zu lesen:

studienleistungen-mathe-2016

Was auch immer “erfolgreich” heißt. Immer noch besser jedenfalls als das, was dort noch im letzten Jahr4 zu lesen war:

studienleistungen-mathe-2015

Jaja, die “erfolgreiche” Teilnahme, bei der man aber nicht sagen will, was “erfolgreich” heißt. Sehr lustig. Wenn wir uns im Kindergarten befinden. Bei einer Behörde im Sinne des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechtes wirkt diese Yolo-Attitüde was Studienleistungen angeht allerdings eher befremdlich.

Das mit der “erfolgreichen Teilnahme” fanden die Mathematikerinnen und Mathematiker so toll, dass sie es sogar in ihre Prüfungsordnung von 2012 geschrieben haben (§ 11):

(6) In Lehrveranstaltungen (mit Ausnahme von Vorlesungen), in denen das Qualifikationsziel nicht anders erreicht werden kann, kann der Prüfungsausschuss auf Antrag eines Lehrenden oder Modulbeauftragten die regelmäßige/ aktive/ erfolgreiche Teilnahme als Voraussetzung für die Teilnahme an der Modulprüfung festlegen. Dabei ist zu definieren, wann eine regelmäßige/ aktive/ erfolgreiche Teilnahme vorliegt. Die Entscheidung ist vom Prüfungsausschuss gemäß § 6 Abs. 9 bekanntzugeben.
Da das Verständnis für mathematische Sachverhalte nur durch gemeinsames Lernen und aktives Lösen von Aufgaben im Austausch mit anderen Studierenden und dem Dozenten optimal erreicht werden kann, wird bei allen Übungen, die zu Vorlesungen gehören, eine erfolgreiche Übungsteilnahme als Zulassungsvoraussetzung für die Klausur oder Mündliche Prüfung verlangt.

(Hervorhebung von mir)

Was unter der “erfolgreichen” Übungsteilnahme zu verstehen ist, steht da aber natürlich nicht.
Die persönliche Anwesenheit der Studierenden kann es schon einmal nicht sein, da das Hochschulgesetz seit 2014 explizit verbietet, so etwas in einer allgemeinen Regel festzulegen5. Ein Teil der Begründung hierfür ist bemerkenswert, wenn man ihn mit dem markierten Teil von § 11 Abs. 6 vergleicht:

Mit der Regelung6 soll zudem die Eigenverantwortlichkeit der Studierenden gestärkt und der Umstand unterstrichen werden, dass hochschulische Lehre in einer Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden stattfindet; Anwesenheitsobliegenheiten sind mit diesem Prinzip der Gemeinschaftlichkeit grundsätzlich nicht verträglich.

Aber was kümmert uns schon, was in irgend einer Gesetzesbegründung steht, gell.

  1. Eigentlich kann man jede Studienleistung mit “Haben wir schon immer so gemacht” oder “Ich will das halt so” begründen. Es gibt seltenst “die” eine Studienleistung, die die beste ist.
  2. oder von ihren Doktoren
  3. Der Volksmund spricht hier lapidar vom “Plagiat”
  4. Ja, der Screenshot zeigt den Stand vom vorletzten Jahr. But trust me!
  5. Siehe HZG NRW mit Begründung, § 64 (2a) / PDF-Seite 261
  6. Die Regelung, auf die sich hier bezogen wird, verbietet Anwesenheitspflichten grundsätzlich. “Grundsätzlich” im juristischen Sinne heißt, dass es sich um den Standardfall handelt, von dem es begründete Ausnahmen gibt.

Versagen im großen Stil

Versagen im großen Stil

Seit ich in Bonn wohne, war ich bereits zweimal in Köln im Gericht. Die erste Verhandlung, die ich besucht habe, war vor dem Landgericht Köln die Verhandlung um die “scheiß RTL”-T-Shirts von fernsehkritik.tv im Herbst 2012. Diese Verfahren hat die Kreymeier Alsterfilm GmbH mittlerweile beide verloren.

Die zweite Verhandlung fand nun gestern vor dem Verwaltungsgericht Köln statt. Geklagt hatte ein Informatikstudent der Uni Bonn, weil er in zwei Modulen nicht zur Modulabschlussprüfung zugelassen wurde. In den betreffenden Modulen war die durchgehende Anwesenheit in den Übungen1 (maximal 2 Fehltermine) gefordert worden, der Student war aber wohl mehr als zweimal unentschuldigt nicht erschienen. Konsequenz war die Nichtzulassung, die Klage folgte, und ein bzw. zwei Semester später traf man sich dann vor dem VG Köln. Soviel zur Vorgeschichte.

Das Referat für Hochschulpolitik des AStA kämpft schon länger gegen Anwesenheitspflichten an der Universität Bonn, hat den Fokus aber eher auf Vorlesungen der Philosophischen Fakultät, in denen die Studierenden sich regelmäßig zwecks Prüfungszulassung in herumgereichte Listen eintragen sollen. Die Klage unseres Informatikstudenten wurde vom AStA unterstützt, auch wenn der Fall etwas anders gelagert ist. Sowohl die Seite der Kläger als auch die der Beklagten hoffte auf ein Grundsatzurteil über die Zulässigkeit von Anwesenheitspflichten im Universitätsbetrieb. Ein solches gibt es in NRW bzw. Deutschland bislang noch nicht, und so suppt derzeit jeder sein eigenes Süppchen. (Das Referat für Hochschulpolitik des AStA hat zu dieser Thematik sicher noch mehr Informationen.)

Doch zu einem Grundsatzurteil kam es nicht. Man kam nicht einmal in die Nähe eines solchen.

Das Bachelorstudium eines Informatikers an der Uni Bonn richtet sich nach der “Prüfungsordnung für den Bachelorstudiengang Informatik der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn”, Kenner nennen sie keck “BaPO Informatik”, zu finden etwa hier. Laut dieser wunderschönen BaPO ist es nach Auffassung des Gerichts möglich, für die Zulassung zur Modulprüfung eine Anwesenheitspflicht festzulegen. Dazu muss jedoch

  1. im Einzelfall
  2. auf Antrag eines Lehrenden
  3. der Prüfungsausschuss die begründete Einrichtung einer Anwesenheitspflicht beschließen
  4. und bekannt machen.

Erst wenn diese Voraussetzungen gegeben sind, könnte man über die Frage verhandeln, ob denn die Bestimmungen der BaPO überhaupt rechtens sind.

Wie gesagt, in den beiden Fällen waren wir weit davon entfernt.

Im ersten Fall sollten für das Modul “Web- und XML-Technologien” im Wintersemester 2011/12 50 % der erreichbaren Übungspunkte erreicht werden sowie maximal zweimaliges Fehlen erlaubt sein. Dies wurde zwar vom Dozenten mitgeteilt, einen entsprechenden Beschluss des Prüfungsausschusses hat es jedoch nicht gegeben. Somit waren die Voraussetzungen nicht erfüllt, der ganze Fall bereits erledigt und der klagende Student musste zur Prüfung zugelassen werden. Zack, fertig.

Im zweiten Fall sollten für das Modul “Relationale Datenbanken” im Sommersemester 2012 ähnliche Zulassungsbedingungen gelten. Hier gab es sogar einen Beschluss des Prüfungsausschusses, der Antrag des Lehrenden (siehe oben Punkt 1) lag jedoch nicht den Akten bei, hätte aber nachgereicht werden können, so der derzeitige Prüfungsausschussvorsitzende Andreas Weber. Im Protokoll der entsprechenden Prüfungsausschusssitzung war jedoch keine Begründung vermerkt, was vom Richter kritisiert wurde. Als er dann noch fragte, wann die Sitzung denn stattgefunden und wann das Semester begonnen habe, war mir klar, dass die Uni auch in diesem Fall eine herbe Niederlage einstecken würde.

Die Vorlesungszeit im betreffenden Semester begann am 2. April. Die Prüfungsausschusssitzung, auf der die Zulassungskriterien mit Anwesenheitspflicht etc. beschlossen wurden, fand jedoch erst am 18. April statt. Jetzt kann man sich überlegen, ob es rechtlich in Ordnung ist, den Studierenden erst ein, zwei Wochen nach Beginn der Veranstaltung zu sagen, unter welchen Bedingungen sie überhaupt zur Modulprüfung zugelassen werden können. Die Antwort lautet selbstverständlich: Nein. Ein schönes Zitat des Richters dazu:

“Es ist klar, die Spielregeln müssen eigentlich immer klar sein, egal bei welchem Spiel, bevor das Spiel losgeht.”

Zu obiger Liste kommt also eigentlich noch ein fünfter Punkt hinzu: Bekanntgabe vor Beginn der Veranstaltung. Folgerichtig wurde dem klagenden Studenten auch im zweiten Fall Recht zugesprochen und er wird zur zweiten Prüfung ebenfalls zugelassen. Die Universität hat die Kosten beider Verfahren zu tragen.

Aus dem letztgenannten Punkt ergeben sich noch viel weitreichendere Folgen: Da die Zulassungskriterien für die Modulprüfungen auch im aktuellen Sommersemester erst nach Beginn der Veranstaltungen vom Prüfungsausschuss bekanntgegeben wurden, sind sie ebenso ungültig wie jene aus dem zweiten Prozess. Dies hat Prüfungsausschussvorsitzender Weber auch am selben Tag noch in einer E-Mail an alle Beschäftigten und Studierenden am Institut für Informatik bekanntgegeben. Wer sich für eine Informatikprüfung angemeldet hat, ist in diesem Semester somit automatisch zugelassen.

Alles in Allem war dieser Donnerstag also ein recht erfolgreicher Tag für die Bonner Studierenden, auch wenn die eigentlich relevante Frage nach der Rechtmäßigkeit von Anwesenheitspflichten wieder einmal nicht behandelt werden konnte. Gescheitert ist die Uni bzw. der Prüfungsausschuss daran, die eigenen Regeln aus der BaPO nicht ordentlich umgesetzt zu haben.

Artikelbild: Cain by Henri Vidal, in the Tuileries Gardens, Paris, 1896. Image by Jastrow (Own work (own picture)) [Public domain], via Wikimedia Commons

  1. Begleitende Veranstaltung zu einer Vorlesung, in der Übungsaufgaben besprochen werden