Ein Scheißverfahren haben Sie da!

In den Ausschüssen des Studierendenparlaments geht es um Macht, Einfluss, Geld – oder auch nur um die UniCard.

Die Satzung der Studierendenschaft sieht vor, dass auf der konstituierenden Sitzung eines neuen Studierendenparlaments mindestens 7 Ausschüsse gewählt werden1. Sechs dieser 7 Ausschüsse haben 5 Mitglieder, der Haushaltsausschuss hat 7 Mitglieder.

Und dann sagt Absatz 6 in § 12 der Satzung folgendes:

(6) Bei Besetzung der Ausschüsse ist nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren das Stärkeverhältnis aufgrund der Sitze im SP zugrunde zu legen.

Zur Erinnerung: Ihr habt demletzt folgendes SP gewählt:

Liste Sitze
GHG 12
JUSOS 11
RCDS 11
LHG 4
LUST 3
PIRATEN 2

Nun haben Experten von RCDS und Juso-Hochschulgruppe folgendes festgestellt: Rechnerisch hätten diese beiden Gruppen zusammen eine hauchdünne Mehrheit von 22 Sitzen im SP. Bildet man jedoch nach Satzungsvorschrift einen Fünferausschuss, kommt dabei folgendes heraus:

Liste Sitze
GHG 2
JUSOS 1
RCDS 1
LHG 1

Das bedeutet: Die SP-Mehrheit von Jusos und RCDS hätte in einem Fünferausschuss alleine keine Mehrheit! Dumm, dass fast alle Ausschüsse laut Satzung Fünferausschüsse sind.

Praktischerweise sieht die ganze Sache bei einem Ausschuss mit 7 Mitgliedern bereits anders aus – hier stellt die RCDS-Juso-SP-Mehrheit auch eine Ausschussmehrheit:

Liste Sitze
GHG 2
JUSOS 2
RCDS 2
LHG 1

Zur konstituierenden Sitzung wurde also von Vertretern des RCDS und der Juso-Hochschulgruppe ein Antrag eingebracht, der die in Fünferausschüssen entstehende Situation als verfassungswidrig (!) einstufte und als Abhilfe eine Lösung vorschlug, die ich im Folgenden als Rüngler-Lösung bezeichnen werde, das zugehörige Problem als Rüngler-Problem: Abweichend von der Satzung sollten alle zu wählenden Ausschüsse mit 7 Personen besetzt werden.

Der Rest des Bönn’schen Parlamentarismus war erstaunt, mit welcher Leichtigkeit hier die Satzung ingoriert wurde (und ist es immer noch). Kurzversion: Der Antrag auf “Korrektur” der Ausschussgrößen wurde mit Mehrheit beschlossen, die Ausschüsse wurden mit je 7 Personen besetzt, es wurde protestiert. Die gemeinsame Stellungnahme von GHG, LHG und Piraten-HSG kann man sich wahlweise bei der GHG oder bei der LHG durchlesen. 2 Der Ältestenrat kann sich fürwahr nicht über Arbeitsmangel beklagen.

Kommen wir nur zur Gretchenfrage.

Hülft dat wat?

Ja. Im nach dem Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren mit 7 Mitgliedern besetzten Ausschuss ist eine SP-Mehrheit auch eine Ausschussmehrheit – wenn alle da sind und niemand dazwischenfunkt – dazu später mehr.

Die 7 ist jedoch kein Allheilmittel. Genau genommen gibt es keine Zahl an Ausschussplätzen, für die die Wahlberechtigten sich nicht eine Wahlergebnis basteln können, das zum Rüngler-Problem führt.3 Ach doch: 1 und 43. (Es gibt sogar einen Ausschuss mit 43 Mitgliedern. Den Ferienausschuss. Das ist auch so ein lustiges Gremium.)

Schauen wir uns das mal an einem einfachen Beispiel an: Die Satzung sieht also Ausschüsse mit 5, 7 oder 9 Mitgliedern vor.

Gegeben sei folgendes Wahlergebnis:

Liste Sitze
A 22
B 5
C 5
D 5
E 4
F 2

Im SP hat also Liste A (hier Grün dargestellt) die absolute Mehrheit:

spmodel-43

Wie sehen die nach Sainte-Laguë/Schepers verteilten Ausschüsse aus?

spmodel-5

Fünferausschuss: (A-2,B-1,C-1,D-1) -> Rüngler-Problem!

spmodel-7

Siebenerausschuss: (A-3,B-1,C-1,D-1,E-1) -> Rüngler-Problem!

spmodel-9

Neunerausschuss: (A-5,B-1,C-1,D-1,E-1) -> Okay!

Für diese Konstellation wäre also eine Aufstockung aller Ausschüsse auf 9 Mitglieder eine Lösung des Rüngler-Problems. Mit sieben Mitgliedern klappt es nicht.

-Einschub-
Es gibt bereits einen Ausschuss mit 9 Mitgliedern. Den Wahlausschuss. Raten Sie mal, für welchen Ausschuss sich in den letzten Jahren NIE genug Mitglieder gefunden haben, geschweige denn Stellvertreter?4
-Ende Einschub-

Doch auch die 9 ist kein Allheilmittel. Nimmt man Liste E einen Sitz weg und gibt ihn Liste F, so sieht der Neunerausschuss folgendermaßen aus:

spmodelb-9

Neunerausschuss: (A-4,B-1,C-1,D-1,E-1,F-1) -> Rüngler-Problem!

Hurra.

Wir sehen also: Die Rüngler-Lösung löst das Rüngler-Problem nur im Einzelfall.

Man müsste also für jedes Wahlergebnis prüfen, in welchen Ausschussgrößen man Mehrheiten abseits der SP-Mehrheiten bilden kann, und diese dann auf die entsprechend höhere Zahl aufstocken, bei der das Problem nicht mehr auftritt. Und das ganze sollte dann noch in der Satzung verankert werden.

Der Witz an der ganzen Sache

Also nehmen wir mal an, eine SP-Mehrheit hätte ein gottgegebenes Recht5 auf eine Ausschussmehrheit. Und deshalb implementiert man eine funktionierende Lösung für das Rüngler-Problem.

Dann liest man Paragraph 12 Absatz 7 der Satzung der Studierendenschaft. Und fängt laut an zu lachen.

(7) Außer den nach Maßgabe der Abs. 1 bis 6 bestimmten Mitgliedern gehören jedem SP-Ausschuss zusätzlich ein ordentliches Mitglied und ein entsprechendes stellvertretendes Mitglied an, das nicht von den Fraktionen im SP, sondern von der FK zu benennen und durch das SP zu bestätigen ist. […]

Die Fachschaftenkonferenz kann also in jeden Ausschuss ein stimmberechtigtes Mitglied entsenden.

Aus dem Siebenerausschuss der Rüngler-Lösung wird somit ein Achterausschuss, in dem Abstimmungen theoretisch 4:4 ausgehen können. Und wieder hat eine SP-Mehrheit nicht mehr automatisch eine Ausschussmehrheit.

Ich bin mal gespannt, wie sie das Problem lösen wollen. Ich habe da schon so eine Ahnung. Sofern es denn überhaupt ein Problem ist.

Epilog

Das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren hat noch eine weitere nette Eigenschaft: Es kann leicht passieren, dass zwei oder mehr Listen zur selben Zeit den letzten Sitz zugeteilt bekämen. Man würde also entweder zu viele Sitze verteilen oder losen müssen. Ob das Rüngler-Problem in diesem Fall auch auftreten kann, fragen Sie?

Ich bitte Sie.

Sonst wär’s ja langweilig.

Weiterführende Links

Die Wikipedia-Seite zum Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren: klick

Ein Rechner, der das Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren beherrscht: klick

Die Wikipedia hat eine Seite zu Sitzzuteilungsverfahren mit noch mehr Theorie: klick

Update: Mehr zum Thema gibt es bei Fabian Rump, der ein bisschen auf die behauptete Verfassungswidrigkeit eingeht.

  1. Die genauen Bezeichnungen entnehmen Sie bitte Ihrer Satzung, Paragraph 12 Absatz 2.
  2. Die Piraten-HSG (!) hat meines Wissens immer noch keine Homepage, auf der man so etwas publizieren könnte. Realsatire pur.
  3. Kecke These, wo ich doch noch kein Gegenbeispiel für 21 und 33 Plätze gefunden habe. Aber ihr macht das schon.
  4. Jaa, wenn man im Wahlausschuss sitzt, darf man nicht mehr kandidieren. Deswegen gibt’s da so wenig Personal. Ich will hier nur ein bisschen trollen, lasst mich doch.
  5. meinetwegen auch ein vom Bundesverfassungsgericht gegebenes Recht

Der kleine Unterschied

Die nächste Woche wird spannend in der Bonner Hochschulpolitik. Vergangenen Dienstag hat das Rektorat der RFWU Bonn (hoffentlich) die neue Satzung der Studierendenschaft genehmigt. Und je nachdem, wann diese jetzt veröffentlicht wird, ändert sich die Zusammensetzung des am kommenden Mittwoch zu wählenden Wahlausschusses.

Zum Hintergrund: Ausschüsse des SP werden so besetzt, dass die Mehrheitsverhältnisse im SP sich in ihnen widerspiegeln sollen. Jede Fraktion darf deshalb eine gewisse Zahl an Bewerbern vorschlagen, abhängig von der Sitzzahl die sie innehat: Je mehr Sitze, desto mehr Vorschläge.

In der neuen Satzung wird nun gleichzeitig mit dem Verfahren zur Berechnung der Sitzverteilung das Verfahren zur Berechnung der Ausschussbesetzung geändert: Statt d’Hondt wird Sainte-Laguë/Schepers angewendet. Der Wahlausschuss hat 9+11 Mitglieder, im SP sind 6 Hochschulgruppen vertreten2.

Vorschläge mit d’Hondt:

  • GHG: 4
  • RCDS: 3
  • Jusos: 2
  • LUST: 0
  • LHG: 0
  • Piraten: 0

Vorschläge mit Sainte-Laguë/Schepers:

  • GHG: 3 (-1)
  • RCDS: 2 (-1)
  • Jusos: 2
  • LUST: 1 (+1)
  • LHG: 1 (+1)
  • Piraten: 0

LUST und LHG sollten sich also gegebenenfalls überlegen, wen sie am Mittwoch für den Wahlausschuss vorschlagen wollen. Falls die neue Satzung vor der Wahl des Wahlausschusses veröffentlicht wird, dürften sie Kandidatinnen oder Kandidaten benennen.

Berechnungshintergrund

Sowohl das d’Hondt-Verfahren als auch das Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers können als Divisor- oder als Höchstzahlverfahren implementiert werden. Als Divisorverfahren kann man das beispielsweise hier und hier ausprobieren, als Höchstzahlverfahren werden wir es jetzt hier tun.

Grundlage für die Berechnung der Anzahl der Vorschläge für jede Liste ist § 12 (6) der Satzung der Studierendenschaft. Aktuell lautet er wie folgt:

(6) Bei Besetzung der Ausschüsse ist nach dem Höchstzahlverfahren d’Hondt das Stärkeverhältnis aufgrund der Sitze im SP zugrunde zu legen.

In der Neufassung ist lediglich das “Höchstzahlverfahren d’Hondt” durch das “Sainte-Laguë/Schepers-Verfahren” ersetzt. Der Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht nun darin, wie gerundet wird (Divisorverfahren) bzw. durch welche Zahlen geteilt wird (d’Hondt).

Bei d’Hondt werden die Sitzzahlen der Listen jeweils durch 1,2,3,… geteilt und dann die 9 größten Zahlen daraus ermittelt. Jede Liste darf dann so viele Personen vorschlagen, wie sie Zahlen unter den Top 9 hat.

Nach d'Hondt bekommt die GHG 4 Vorschläge, der RCDS 3 und die Jusos dürfen 2 Personen vorschlagen.

Nach d’Hondt bekommt die GHG 4 Vorschläge, der RCDS 3 und die Jusos dürfen 2 Personen vorschlagen. (Zahlen auf 2 Nachkommastellen gerundet)

Beim Verfahren nach Sainte-Laguë/Schepers ändert sich ein winziges Detail: Es wird nicht mehr durch 1-2-3-…, sondern durch 0,5-1,5-2,5-… geteilt – die Teiler sind also immer um 0,5 kleiner. Welchen Effekt das hat, sehen wir hier:

GHG und RCDS müssen je einen Vorschlag an LUST und LHG abgeben.

GHG und RCDS müssen je einen Vorschlag an LUST und LHG abgeben. (Zahlen auf 2 Nachkommastellen gerundet)

Die “kleinen” Listen bekommen einen Bonus und dürfen plötzlich mehr mitreden.

Mal sehen, was draus wird.

  1. die Fachschaftenkonferenz darf auch noch einen Vorschlag machen
  2. Eigentlich haben die “Fraktionen” Vorschlagsrecht, die Piraten-HSG ist jedoch fraktionslos. Unterschied macht das aber im Ergebnis keinen, wie wir sehen werden.